
Dieser Text knüpft an die Vorstellung des Konzepts der „Metamoderne“ im vorigen Beitrag an. Geboten werden hier drei Filmbeispiele: für Moderne, Postmoderne und Metamoderne. James Bond. James Bond? Genau. Kurzer Exkurs.
Mit wenigen Ausnahmen könnte jeder Teil der Reihe mehr oder minder für sich stehen: verfilmt wird stets das gleiche für sich genommen belanglose Material von Ian Fleming. Da schon die Romane im Grunde immer die identische alte Geschichte aufkochen, ist dies beinahe, als würde ein und derselbe Klassiker alle drei bis vier Jahre neu verfilmt. Die ewige Wiederkunft des Gleichen. Chronologieferner Pulp, ähnlich wie bei Conan dem Cimmerier, besser bekannt als „Conan der Barbar“. Beinahe rührend trinkt Bond seinen Martini, spielt ein paar Balzrituale aus der Frühzeit des Homo Habilis ab und sagt gut dressiert seine zwei weltbekannten Sprüchlein auf. Gewiss, der Darsteller wechselt hin und wieder und ab und stirbt auch mal M, aber die Hox-Gene bleiben stabil. Um ihn herum jedoch ändert die Welt sich – ebenso wie ihre filmische Darstellung.
Damit ähnelt James Bond, allemal auf der Metaebene, dem Charakter des Duncan Idaho aus Frank Herberts Dune-Romanen. Zwischen dem ersten und letzten Band der Reihe vergehen 5.049 Jahre Science-Fiction-Handlung, in denen sich das geschilderte Universum grundstürzend wandelt: nicht zuletzt durchläuft die Menschheit (befeuert durch fragwürdige eugenische Praktiken) einen anhaltenden Evolutionsprozess. Als Kontrapunkt fungiert besagter Duncan Idaho. Schon von Beginn an einer der simpelsten Charaktere, ein aufbrausender, leicht chauvinistischer Schwertmeister mit ritterlichem Mantel-und-Degen-Gemüt, der frei heraus sagt, was er denkt, und sich, wenn er frustriert ist, einen Rausch antrinkt. Nachdem er noch in der ersten Hälfte des ersten Romans zu Tode kommt, wird er in den fünf Folgebänden immer wieder aufs Neue geklont – u.a. mit der erklärten Absicht, die zunehmend fremdartigen Menschen samt ihrer Art zu denken mit etwas Statischem vergleichen zu können.

Auf dieselbe Art bilden auch die James Bond Filme eine Art Messinstrument für unsere sich rasant verändernde Zivilisation: Momentaufnahmen wie Andy Warhols Zeitkapseln. Eben dieser Effekt kommt bei den letzten Daniel Craig Episoden der Reihe zunehmend abhanden – wenn Bond sich selbst verändert, Kinder zeugt, um seine fünf Filme zuvor verstorbene Geliebte trauert und ggf. nicht nur unkommentiert einen neuen Darsteller erhält, sondern explizit zum weitergegebenen Decknamen erklärt wird, dann verfälscht das die Proben.
Also, zurück zum Kernthema. Ein repräsentativ moderner Film ist Goldfinger: man kann die Welt retten – und das Rezept heißt ECHTE MÄNNLICHKEIT! Die lesbische Pilotin Pussy Galore lässt sich mit genügend Brustbehaarung konvertieren, das Gold der Amerikaner weiß ein James Bond als britischer Gentleman zu retten (und damit symbolisch auch den Goldstandart, um die Dinge nicht unnötig kompliziert zu machen) und Gert Fröbe ist ein Schurke, den man noch als solchen erkennt. Postmodern wird es in Tomorrow Never Dies: der neue Unhold ist kein ideologisch geblendeter Kerl mit Monokel und Uschanka mehr, sondern ein profitorientierter Medien-Tychoon, der für sich in Anspruch nimmt, zu definieren, welche Wahrheit gelten darf: James Bond kann all dies nicht richtig ernst nehmen, trieft nur so vor Ironie und obsiegt letztlich damit, weil er die Dinge kritisch hinterfragt und infolge dessen noch zynischer sein kann, als der Tunichtgut. In Skyfall dann geht man noch einen Schritt weiter. Der Westen und der MI6 leiden an sich selbst, im Rest der Welt sieht es auch nicht gut aus und eigentlich hat Bond sich enttäuscht zur Ruhe gesetzt, der eigenen Rolle überdrüssig, um an irgendeinem tropischen Strand Trinkspiele mit Skorpionen zu gewinnen. Schurke des Films ist der abtrünnige Agent Silva, dem Aussteigen allein nicht reicht: er will dem lahmenden alten Pferd der Geheimdienst-Ära gleich insgesamt den Gnadenschuss verpassen. Als exemplarischer Repräsentant der Postmoderne haust er in den Trümmern modernistisch-sozialistischer Propaganda-Statuen und spielt zu seinen ironischen Schandtaten fröhliche Musik aus den 1930ern (zu seinem späteren Helikopter-Angriff dröhnt der Song Boom Boom von den Animals aus den Lautsprechern: offenbar als intentionell ironische Ziation von Coppolas Apocalypse Now). Da die von ihm verkörperte kompromisslose Dekonstruktion Bond auch keine akzeptable Lösung zu sein scheint, kehrt er OHNE ECHTE ÜBERZEUGUNG nach Großbritannien zurück, besinnt sich auf seine (dieser Bond-Iteration) verhassten Wurzeln und die Tradition, um so das richtige Ambiente zu schaffen, in dem er Silva schlagen kann. Er inszeniert sich selbst und die Situatuion, um über Silvas Vorwurf der fehlenden Authentizität durch eben dessen selbstreflexive Bestätigung zu triumphieren. Kurzum: es geht vergleichsweise metamodern zu. No Time to Die schlussendlich ist vor allem anderen ein Musterbeispiel – für einen wirklich miesen Film.
Dabei macht Skyfall zugleich die inhärente Gefahr metamodernen Denkens erkennbar. Nachdem Silva erfolgreich einen Sprengstoffanschlag aufs Hauptquartier des MI6 ausgeführt hat, wird dessen Chefin M gezwungen, sich gegen ihren erklärten Willen einer öffentlichen Anhörung durch eine Ministerin zu stellen. Jene nutzt den Anlass, um die Notwendigkeit schattenhafter Geheimdienst-Aktivitäten gleich insgesamt infrage zu stellen. Dies alles hat Silva als schlauer Fuchs geplant, um die Anhörung seinerseits für sein Attentat auf M zu nutzen. M und die Ministerin werden nur gerettet, weil James Bond – als DER schattenhafte Geheimagent – dazustößt und die Anhörung rechtzeitig stelbst pistolenschwingend stürmt.
Die fraglichen Dialoge lesen sich wie eine repräsentative Abkehr von der Postmoderne: verkörpert von einer populären These des postmodernen Philosophen Michel Foucault. Laut jener birgt der moderne Strafvollzug unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegenüber z.B. mittelalterlichen Schausprozessen die Gefahr, dass die Öffentlichkeit im Zweifelsfall (z.B. bei zu harten Strafen) nicht einschreiten kann, weil sie gar nicht weiß, was überhaupt geschieht. Sinngemäß: dass die Justiz gerecht agiert, ist zunächst einmal ein Narrativ, dem man kritisch begegnen muss. Selbstredend: Foucaults indirekte Argumentation zugunsten einer Rückkehr zu öffentlicher Quälerei mit glühenden Eisen und maskiertem Henker wörtlich zu nehmen, wäre eine böswillige Überspitzung postmoderner Positionen. Dennoch erscheint die analoge Anhörung in Skyfall reichlich schädlich: die – im Gegensatz zu Bond und M immerhin direkt demokratisch legitimierte – Ministerin tritt als störende Paragraphenreiterin in Erscheinung, die ihre Lektion zu lernen hat. „Besser, man hätte Vertrauen gezeigt und den MI6 in den Schatten sein Ding machen lassen“.
Vermeulen und van den Akker bringen Metamodernismus auf die Formel „informierter Naivität“. Man kennt die Kritik, entscheidet sich jedoch, sie situativ zu ignorieren. Im Beispiel der Anhörung in Skyfall wird dieser abstrakte Gedanke – allemal auf den ersten Blick – wie folgt konkretisiert: obwohl man weiß, dass die Geheimdienste teils unlauteren Machenschaften nachgehen bzw. ihren Aufgaben nicht gewachsen sind (auch Silva ist als Abtrünniger ein Produkt des MI6, zu Beginn scheitern Bond und Konsorten dabei, ihn am Diebstahl einer hochwichtigen Festplatte zu hindern), sollte man sich entscheiden, nicht zu genau hinzusehen, da man es ihnen sonst noch schwerer macht, ihr letztlich gutes Werk zu tun.
Die Argumentantion ähnelt frappierend manchen bigotten Vorwürfen, die gegen den Journalisten Julian Assange erhoben wurden, nachdem dieser gezielt verheimlichte Kriegsverbrechen US-amerikanischer Soldaten öffentlich gemacht hatte. Demnach sei es trotz allem unverantwortlich, militärische Geheimdokumente zu publizieren, da somit auch taktische Details enthüllt werden könnten, welche ggf. den Erfolg der (bei Erscheinen von Skyfall) teils noch andauernden, abgesehen von den Ausschreitungen einzelner Teilnehmer:innen demnach nach wie vor gerechtfertigter Militäraktionen bzw. das Leben (anderer) kämpfender Soldat:innen gefährdert würde. Genau wie Assange ist Silva auffallend weißblond und ein begnadeter „Hacker“. Wie eine Karrikatur Assanges setzt er als Teil seines Rachefeldzugs darauf, Agenten zu enttarnen, die gerade Terrororganisationen infiltirieren. Beinahe bedrückend prophetisch erscheint rückblickend, dass der vom MI6 gefangene Silva (vor seiner Flucht und dem Shootout bei der Anhörung) ins Londoner Gefängnis Belmarsh verlegt werden soll – in welchem Assange später tatsächlich inhaftiert wurde (und während der Niederschrift dieses Artikels noch immer ist); zuvor hält man ihn in einem enormen Terrarium gefangen – ähnlich jenem Glaskasten, in den man Assange später während seines Prozesses gesteckt hat.
Natürlich muss man das Geschehen nicht derart wörtlich nehmen. Silva als Metapher für Assange zu deuten, liegt fraglos nahe, doch ebenso lässt sich der Film als Kritik an bestimmten postmodernen Tendenzen lesen, die sich gegen jede Form des Privaten richten. Hannah Arendt zufolge ist Öffentlichkeit stets politisch: was man dort tut, definiert, wer man ist und wo man steht bzw. welche Rolle man spielt. Dem gegenüber sieht sie im Privaten den Schutzraum des lebensnotwendigen (da regenerativen und in einigen Fällen reproduktiven) nicht-politischen Anteils menschlichen Daseins. Manche Postmodernist:innen gehen so weit, jede Form menschlicher Aktivität als politisches Statement zu verstehen: was man isst, was man wo kauft, wen man wie liebt, etc. etc. und so weiter. Eine völlige Abkehr von verschleiernden Narrativen bedeutet schließlich, die Wirklichkeit schonungslos zu betrachten, wie sie ist (bzw. wie man sie wahrnimmt).
Ein typisches Beispiel für diese Art zu denken wäre der Trend zur Dekonstruktion historischer Charaktere; so mögen Figuren wie Goethe oder Marx in ihren Werken emanzipatorische Thesen geäußert haben, während sie im Privaten zugleich als hundsgemeine Familientyrannen in Erscheinung traten – weshalb man sie manchen Kritiker:innen zufolge auch darüber hinaus nicht (unbefangen) rezipieren sollte. Wo Fehler sind, müssen sie enthüllt werden. Daran anknüpfend ließe sich folgerichtig argumentieren, dass auch die Auflösung der Privatsphäre im Zeitalter blutdruckmessender Smartwatches und Sozialer Medien ihre positiven Seiten habe: beispielsweise, da mit dem Privaten auch der Raum für heimlichen Sexismus, Rassismus usw. schwindet. Der metamoderne Gebrauch von Narrativen stellt zugleich eine gegenläufige Strategie zum Schutz des Privaten dar. Bezogen auf Soziale Medien kann dies bedeuten, selektiv zu entscheiden, was man wie mit der Menschheit teilen möchte und was nicht: womit man eine künstliche Identität konstruiert, eine Persona, eine Geschichte, welche man der Welt erzählt – darüber, wer man sei.

In diesem Sinne wehren sich auch die Agenten in Skyfall nicht (nur) gegen die demokratische Kontrolle ihres Treibens, sondern (auch) gegen die unfreiwillige Obduktion ihres Seelenlebens. Einerseits werden Bond und M in Skyfall psychologisiert wie kaum in einem früheren Film der Reihe. James Bond bekommt Schwächen, Macken, eine Kindheit. Zugleich aber wehren sie sich aktiv dagegen, indem sie als brave Stoiker darauf beharren, einander zu behandeln, wie ihre jeweiligen Rollen es vorschreiben. Bond kämpft erbittert dagegen an, dass Silva und seine Handlanger das Haus seiner Kindheit stürmen – stellvertretend für Psyche und Privatleben. Schlussendlich sprengt er es lieber in die Luft, als sie hereinzulassen (womit ein hübsches Bildzitat aus Andrej Tarkovskijs Opfer zustande kommt). Obgleich die Figuren umfassend daran leiden, auf die ihnen zugeschriebenen Rollen reduziert zu werden, beharren sie partiell darauf: nicht um der Rollen willen, sondern in Anbetracht der Alternativen.
Rezipient:innen des Films stehen vor der Wahl, das darin konstruierte Narrativ als Plädoyer für Intransparenz bzw. gegen Whistleblower:innen und sonstige Gefährder:innen des lieben Friedens auszulegen – oder als solches für den Schutz der Privatsphäre. Für Spionage – oder dagegen. Oder in dem Verhältnis, welches man ganz privat für angemessen hält. Diese Wahl zu treffen ist seinerseits metamodern; mit dem Narrativ der Metamoderne als solchem kann und muss metamodern verfahren werden.
Beide Extreme des denkbaren Deutungsspektrums von Skyfall mag man konservativ finden. Allerdings muss man damit rechnen, einen konservativen Film zu sehen, wenn man sich für James Bond entscheidet. Dass der metamoderne Ansatz informierter Naivität sich – wie dargestellt in mehreren Abstraktions- und Zynismusgraden – im Sinne einer Rückkehr zur Tradition infolge des Überdrusses an Postmodernismus und kritischer Theorie auslegen lässt, muss nicht bedeuten, dass nicht auch das Gegenteil möglich wäre. Beispielsweise nutzt Slavoj Žižek eine im Wesentlichen metamoderne Argumentation, um die Forderungen nach Klimaschutz der Bewegung Fridays for Future gegen den Vorwurf uninformierter Naivität zu verteidigen: vielmehr sei ein gewisses Maß informierter, intentioneller Naivität vonnöten, um solche Forderungen unbeirrt von der (scheinbaren) Komplexität der Thematik zu stellen.
Metamodernismus ist ein Weg zu denken. Eine Methode, um ohne den Glauben an letztgültige Wahrheit(en) Entscheidungen zu treffen. Ein Spiel im (und mit) Schatten. Dies kann bedeuten, im Sinne ihrer Majestät zu handeln. Oder, wie Silva formuliert:
„Sie könnten sich Ihre eigenen Geheimmissionen suchen, so wie ich. Egal welche. Egal welche!“
… und sei es, Pappschilder mit „KOHLE RAUS!!!“ zu basteln.
Robert Boehm, Leipzig, 22.02.2022. Letzte Revision am 22.02.2022.
Bildquellen: Pixabay.com, Shutterstock.com, Wikimedia Commons
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